Nach einer Entscheidung des Hessichen Landessozialgerichts vom 3. Mai 2006 in dem Verfahren L 9 B 16/06 SO soll jedenfalls die Vorlage eines Telefaxsendeprotokolls alleine die Erhebung eines Widerspruchs gegen einen Bescheid nicht beweisen können.
Seine Entscheidung begründete das Gericht wie folgt:
Die bei dem Sozialgericht Gießen am 23. Januar 2006 eingegangene Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 9. Januar 2006 (S 18 SO 25/05) mit dem Antrag, unter Aufhebung des Beschlusses die Kosten dem Beklagten aufzuerlegenhat keinen Erfolg. Der Antrag ist dahingehend auszulegen, dass begehrt wird: den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 9. Januar 2006 aufzuheben und festzustellen, dass der Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Verfahren S 18 SO 25/05 zu tragen hat.
Die an sich statthafte (§ 172 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) sowie frist- und formgerecht eingelegte (§ 173 SGG) Beschwerde, der das Sozialgericht am 24. Januar 2006 nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Beklagten zu Recht nicht verpflichtet, der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten für das erstinstanzliche Verfahren zu erstatten.
Das Gericht entscheidet gemäß § 193 Abs. 1 SGG auf Antrag durch Beschluss, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren anders – als durch Urteil – beendet wird. Vorliegend endete die Untätigkeitsklage der Klägerin bei dem Sozialgericht Gießen unter dem Aktenzeichen S 18 SO 25/05 durch Klagerücknahme vom 25. November 2005 nach der Ablehnung ihres Prozesskostenhilfeantrags (Beschluss vom 21. Juni 2005).
Die danach von dem Sozialgericht zu treffende Entscheidung über die Kostentragungspflicht bei unstreitiger Erledigung hat allgemein auf der Grundlage billigen Ermessens unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu erfolgen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 8. Auflage, § 193 Rdnr. 13). Diese Ermessensentscheidung ist vom Beschwerdegericht in vollem Umfang nachprüfbar (vgl. Landessozialgericht – LSG – Rheinland-Pfalz vom 16. April 1998 – L 3 SB 84/97; Meyer-Ladewig, wie vor, Rdnr. 17). Zur Begründung eines Kostenerstattungsanspruchs gegen eine untätige Behörde ist die Zulässigkeit der erhobenen Untätigkeitsklage eine notwendige, wenngleich nicht hinreichende Voraussetzung (siehe Hessisches LSG – HLSG – vom 27. Dezember 2005 – L 9 B 176/05). Die Kostentragungspflicht nach unstreitig erledigter Untätigkeitsklage gemäß § 88 SGG ist (auch) nach den Umständen der Untätigkeit, nicht aber nach den Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu beurteilen (LSG Baden-Württemberg vom 25. September 2003 – L 11 KR 2720/03 AK-B). Die Behörde hat dem Antragsteller oder dem Widerspruchsführer die Kosten nach Erledigung der Untätigkeitsklage in der Hauptsache auch nur dann zu erstatten, wenn letzterer mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte (Rechtsgedanke aus § 161 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung; LSG Sachsen vom 28. September 2004 – L 2 B 212/03 U). Der Kooperation der Beteiligten im Vorfeld der Untätigkeitsklage kann entscheidungserhebliche Bedeutung zukommen (HLSG vom 22. Februar 2006 L 9 B 14/06 SO: Nicht-Reaktion der Behörde auf die Anfrage des Widerspruchsführers; vom 27. April 2006 – L 9 B 26/06 SO: Klageerhebung des Widerspruchsführers vor Ablauf der der Behörde eingeräumten Frist).
Es entspricht nicht billigem Ermessen, den Beklagten mit den notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu belasten; denn die Untätigkeitsklage der Klägerin vom 7. März 2005 (Eingangsdatum) war unzulässig. Ist ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden, so ist die Klage gemäß § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig. Das Gleiche gilt gemäß § 88 Abs. 2 SGG, wenn über einen Widerspruch nicht entschieden worden ist, mit der Maßgabe, dass als angemessene Frist eine solche von drei Monaten gilt. Zulässigkeitsvoraussetzung der Untätigkeitsklage ist demnach, dass der Kläger – im Fall von § 88 Abs. 2 SGG – überhaupt Widerspruch eingelegt hat (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 88 Rdnr. 3). Der Widerspruch ist gemäß § 84 Abs. 1 SGG schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Es ist anerkannt, dass die elektronische Übertragung einer Textdatei mit eingescannter Unterschrift auf ein Faxgerät dem Schriftformerfordernis entspricht (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 5. April 2000 – GmS-OGB 1/98, NJW 2000, 2340). Die Übermittlung durch Telefax ist uneingeschränkt zulässig, ohne dass das Original nachgereicht werden müsste (BSG vom 21. Juni 2001 – B 13 RJ 5/01 R). Der Widerspruch muss so in den Machtbereich der zuständigen Behörde gelangen, dass der Empfänger unter normalen Umständen davon Kenntnis nehmen kann (Lüdtke, SGG, 2. Auflage, § 84 Rdnr. 12). Für die Beurteilung der Wirksamkeit der Übermittlung per Telefax ist auf die am Empfangsort erstellte körperliche Urkunde abzustellen; ein Telefax ist deshalb erst dann zugegangen, wenn es beim Empfänger ausgedruckt wird (Hessisches Landesarbeitsgericht vom 10. April 2000 – 2 Sa 231/99). Für die Übermittlung durch Telefax gilt wie bei der Übersendung von Briefen, dass ein Absendenachweis keinen Beweis für den Zugang erbringt (Hessisches Landesarbeitsgericht vom 10. April 2000 – 2 Sa 231/99; Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen vom 10. September 1997 – 17 A 687/96). Das Fax-Absendeprotokoll beweist lediglich, dass die Verbindung zustande gekommen ist (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 151 Rdnr. 10a und 10f m.w.N.; Lüdtke, a.a.O., § 151 Rdnr. 19; Bundesgerichtshof vom 10. Januar 1990 – XII ZB 141/89). Die Grundsätze des Anscheinsbeweises gelten für den Zugang allgemein nicht (Hamburgisches Oberverwaltungsgericht vom 24. Oktober 2005 – 3 Nz 37/05) und werden speziell durch den OK-Vermerk im Sendebericht nicht begründet. Das glaubhaft gemachte oder bewiesene Absenden des Widerspruchsschreibens kehrt auch die materielle Beweislast für den Zugang des Widerspruchs, die der Widerspruchsführer trägt, nicht um (Lüdtke, a.a.O.).
Die Klägerin bezieht sich für ihre Behauptung, am 6. Juni 2003 Widerspruch eingelegt zu haben, auf eine Kopie des Widerspruchsschreibens der Rechtsanwaltskanzlei B., B-Stadt, an den Kreisausschuss des Landkreises L. mit dem Zusatz unterhalb des Adressfeldes „per Telefax: 06431/296-449“ sowie auf die Kopie eines Fax-Sendeberichts mit der vorgenannten Fax-Nummer als Empfänger-Nummer sowie dem Übertragungsergebnis „OK“. Der Beklagte verneint demgegenüber die Existenz eines Widerspruchsschreibens vom 6. Juni 2003 in der Verwaltungsakte, eine Erinnerung der seinerzeitigen Sachbearbeiterin und Sachgebietsleiterin an die Angelegenheit sowie einen sonstigen Hinweis auf die Widerspruchseinlegung, etwa im Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 10. Dezember 2004. Weder ist der behauptete Widerspruch vom 6. Juni 2003, Unterkunftskosten betreffend, aktenkundig, noch wurde dieser auf Folgebescheide ausgedehnt bzw. jeweils mit dem gleichen Ziel erneut eingelegt. Nach den vorstehend eingeführten Rechtsprechungsgrundsätzen genügt der gesicherte Sachverhalt weder zum Vollbeweis noch zum Anscheinsbeweis eines Widerspruchszugangs bei dem Beklagten am 6. Juni 2003.Dagegen wendet die Klägerin ohne Erfolg ein, der Beklagte hätte die Fax-Empfangsprotokolle – etwa bis zum Zeitpunkt der Untätigkeitsklage – aufbewahren müssen. Eine Rechtsgrundlage für eine solche Verpflichtung des Beklagten ist nicht bekannt; zum Beispiel regeln die Aufbewahrungsbestimmungen für Akten und sonstiges Schriftgut der Dienststellen des Landes Hessen die Aufbewahrung von Fax-Empfangsprotokollen nicht (Gemeinsamer Erlass vom 4. Dezember 1996, Staatsanzeiger 52/53 1996 Seite 4275). Jedenfalls trägt die Klägerin Mitverantwortung für ihre Beweislosigkeit in Bezug auf den behaupteten Zugang ihres Widerspruchs bei dem Beklagten. Wenn bei dem Beklagten nach eigenen Angaben aktuell lediglich die Fax-Empfangsprotokolle für die Zeit ab 15. Juli 2003 verfügbar sind, für die davor liegende Zeit jedoch nicht (mehr), hat die fast zwei Jahre währende unerklärte Untätigkeit der Klägerin vom 6. Juni 2003 (Widerspruch) bis zum 7. März 2005 (Untätigkeitsklage) zu dieser Verschlechterung der Beweislage durch den erheblichen Zeitablauf beigetragen. Im Rahmen der Billigkeitserwägungen ist zu berücksichtigen, dass Leistungsberechtigter und Leistungsträger alles in ihren Kräften stehende und ihnen Zumutbare zu tun haben, um sich gegenseitig vor vermeidbarem, das Leistungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren (vgl. BSG vom 23. März 1972 – 5 RJ 63/79).
Der Volltext der Entscheidung kann hier abgerufen werden.
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