Das Verwaltungsgericht Gießen hatte in seinem Urteil vom 18. Januar 2010 in dem Verfahren 9 K 3977/09.GI die Frage zu entscheiden, ob für einen PC Rundfunkgebühren zu entrichten sind.
Kläger ist ein Fachverband für Selbstverteidigung, der als gemeinnütziger Verein organisiert ist, und sich mit seiner Klage gegen die Heranziehung zu Rundfunkgebühren für einen von ihm betriebenen internetfähigen Rechner wendet.
Das Gericht hat den angefochtenen Rundfunkgebührenbescheid wegen seiner rechtswidrigkeit aufgehoben, festgestellt, dass der Kläger für den in seinem Büroraum vorgehalten internetfähigen PC nicht rundfunkgebührenpflichtig ist und folgenden Leitsatz aufgestellt:
Anders als bei monofunktionalen Rundfunkempfangsgeräten ist bei „neuartigen Rundfunkempfangsgeräten“ das Bereithalten zum Empfang nicht ohne Weiteres anzunehmen, sondern bedarf des positiven Nachweises.
Seine Entscheidung hat das Gericht maßgeblich wie folgt begründet.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 RGebStV sind Rundfunkempfangsgeräte im Sinne dieses Staatsvertrages technische Einrichtungen, die zur drahtlosen oder drahtgebundenen, nicht zeitversetzten Hör- oder Sichtbarmachung oder Aufzeichnung von Rundfunkdarbietungen (Hörfunk oder Fernsehen) geeignet sind. Rundfunkteilnehmer ist, wer ein Rundfunkempfangsgerät zum Empfang bereit hält (§ 1 Abs. 2 Satz 1 RGebStV). Ein Rundfunkempfangsgerät wird zum Empfang bereit gehalten, wenn damit ohne besonderen zusätzlichen technischen Aufwand Rundfunkdarbietungen, unabhängig von Art, Umfang und Anzahl der empfangbaren Programme, unverschlüsselt oder verschlüsselt, empfangen werden können (§ 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV). Nach § 5 Abs. 3 RGebStV sind Rechner, die Rundfunkprogramme ausschließlich über Angebote aus dem Internet wiedergeben können, als „neuartige Rundfunkempfangsgeräte“ aufzufassen.
Hiernach ist der Kläger für den im Büroraum des Verbands vorgehaltenen internetfähigen PC nicht rundfunkgebührenpflichtig.
Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich zwar bei der Verbreitung von Hörfunk und Fernsehen über das Internet um Rundfunk und internetfähige PCs – wie das vom Kläger für die notwendigen Verwaltungsarbeiten des Verbandes vorgehaltene Gerät – sind grundsätzlich als Rundfunkempfangsgeräte zu qualifizieren. Allerdings wird der Kläger durch das Vorhalten eines internetfähigen PCs in seinem Büroraum nicht Rundfunkteilnehmer im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 RGebStV, weil er diesen internetfähigen PC nicht gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV zum Empfang bereit hält.
Bei der Verbreitung von Hörfunk und Fernsehen über das Internet handelt es sich nach Auffassung des Gerichts um Rundfunk im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 des Rundfunkstaatsvertrages (RStV) vom 31. August 1991 in der jeweils anzuwendenden Fassung. Die über das Internet als „Livestream“ verbreiteten Hörfunk- und Fernsehdarbietungen unterscheiden sich ihrem Inhalt nach nicht von den auf herkömmlichem Wege – das heißt etwa terrestrisch oder über Satellit – zum Empfang durch Radio- und Fernsehgeräte ausgestrahlten Darbietungen. Sie sind ebenso wie diese für eine flächendeckende Verbreitung an eine verstreute unbestimmte und beliebige Vielzahl von Empfängern – mithin die Allgemeinheit – bestimmt. Uneingeschränkt gilt dies für die Ausstrahlung öffentlich-rechtlicher Radioprogramme als „web-radio“, deren Empfang über einen Computer mit Internetzugang flächendeckend als „Livestream“ möglich ist. Nicht anders als beim herkömmlichen Radio- und Fernsehempfang kann sich die Allgemeinheit die Programminhalte auch bei einem Empfang mittels eines internetfähigen PCs durch einfaches Ein- und Ausschalten bzw. Anklicken verfügbar machen. Wegen der verfassungsrechtlich gebotenen Offenheit des Rundfunkbegriffs für technische Neuerungen ist die Verbreitung von Hörfunk und Fernsehen als „Stream-Programm“ über das Internet demnach als elektronisch vermittelte Kommunikation und damit als Rundfunk im Sinne des Rundfunkstaatsvertrages anzusehen (vgl. hierzu ausführlich OVG NW, Urteile vom 26.05.2009 – 8 A 2690/08 – und vom 01.06.2009 – 8 A 732/09 – jeweils mit weiteren Nachweisen).
Internetfähige PCs wie das vom Kläger vorgehaltenen Gerät sind nach Ansicht des Gerichts des weiteren grundsätzlich als Rundfunkempfangsgeräte im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 RGebStV zu qualifizieren (ebenso OVG NW, a. a. O.; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 12.03.2009 – 7 A 10959/08 – sowie Bay. VGH, Urteil vom 19.05.2009 – 7 B 08.2922 -). Ein internetfähiger PC ist grundsätzlich dazu geeignet, Hörfunk und Fernsehen nicht zeitversetzt als „Livestream“ hör- bzw. sichtbar zu machen. Minimale, technisch bedingte Zeitverzögerungen bei der Übertragung von Rundfunkdarbietungen über das Internet können nach Auffassung des Gerichts nicht als Zeitversatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 RGebStV aufgefasst werden und sind mithin unbeachtlich (ebenso OVG NW, a.a.O., OVG Rh.-Pf., a.a.O. sowie Bay. VGH, a.a.O.). Aus diesem Grund sind auch die in § 5 Abs. 3 Satz 1 RGebStV genannten „neuartigen Rundfunkempfangsgeräte“ wie insbesondere Rechner, die Rundfunkprogramme ausschließlich über Angebote aus dem Internet wiedergeben können, Rundfunkempfangsgeräte im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 RGebStV.
Der Kläger wird durch die Verwendung eines internetfähigen PCs in seinen Büroräumen allerdings nicht zum Rundfunkteilnehmer im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 RGebStV, weil er den in seinem Büroraum verwendeten internetfähigen PC nicht gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV zum Empfang bereit hält.
Wie bereits zuvor dargelegt, wird ein Rundfunkempfangsgerät nach § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV zum Empfang bereit gehalten, wenn damit ohne besonderen zusätzlichen technischen Aufwand Rundfunkdarbietungen, unabhängig von Art, Umfang und Anzahl der empfangbaren Programme, verschlüsselt oder unverschlüsselt, empfangen werden können. Der Tatbestand des Bereithaltens knüpft nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur grundsätzlich nicht an die konkrete Nutzung als Empfangsgerät an, es bedarf auch keines Empfangswillens. Ausreichend ist die Geeignetheit des Gerätes zum Empfang. Zudem kommt es nach der Definition in § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV auch nicht auf die Art, den Umfang und die Anzahl der empfangbaren Programme an, schon die Möglichkeit der Nutzung zum Rundfunkempfang stellt einen rechtserheblichen Vorteil dar (vgl. hierzu insgesamt, Beck’scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 2. Auflage, § 1 RGebStV, Rn. 38, 40, 41 m.w.N.).
Diese Definition des Bereithaltens zum Empfang und deren Auslegung ist mit Blick auf die herkömmlichen Rundfunkempfangsgeräte regelmäßig gerechtfertigt. Denn der schlichte Besitz eines solchen monofunktionalen Rundfunkempfangsgerätes lässt das Bereithalten zum Empfang schon deshalb vermuten, weil eine andere Zweckverwendung bei herkömmlichen Rundfunkempfangsgeräten in der Regel ausgeschlossen ist. Bei den herkömmlichen monofunktionalen Rundfunkempfangsgeräten, die speziell für den Hörfunk- oder Fernsehempfang ausgerichtet sind, entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der Besitzer sie gerade dafür angeschafft hat. So will etwa derjenige, der ein Fernseh- oder Radiogerät vorhält, dieses regelmäßig auch zum Rundfunkempfang nutzen, da sich diese Nutzung als die allein mögliche bzw. kennzeichnende Verwendungsform darstellt. Die objektive Zweckbestimmung des Gerätebesitzes wird mithin bereits durch die Art des – monofunktionalen – Gerätes indiziert, weshalb eine Verwendung des Gerätes „zum Empfang“ vermutet werden kann und besondere Feststellungen insoweit grundsätzlich entbehrlich sind (vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 08.09.2009 – 11 K 1310/08.F -)
Anders verhält es sich jedoch bei neuartigen multifunktionalen Geräten, die neben einer Vielzahl anderer Funktionen auch Rundfunkprogramme empfangen können, wie beispielsweise internetfähigen PCs, Notebooks, UMTS-Handys und weiteren internetfähigen Multifunktionsgeräten. All diesen neuartigen multifunktionalen Geräten ist gemein, dass sie nicht typischerweise zum Empfang von Rundfunk erworben und bereitgehalten, sondern in vielfacher Weise anderweitig genutzt werden. Insbesondere internetfähige PCs werden in Deutschland nach Auffassung des Gerichts typischerweise (noch) nicht als Rundfunkempfangsgeräte genutzt (ebenso VG Frankfurt, a.a.O.; VG Wiesbaden, Urt. vom 15.11.2008 – 5 K 243/08.WI – anderer Ansicht OVG NW, Urteile vom 26.05. und 01.06.2009, a.a.O.; OVG Rh.-Pf. vom 12.03.2009, a.a.O. sowie Bay. VGH, Urteil vom 19.05.2009, a.a.O.). Auch wenn ein internetfähiger PC grundsätzlich die theoretische Möglichkeit der Nutzung des Rundfunks bietet, so erfolgt weit überwiegend eine Nutzung dieser Geräte für Zwecke der Textverarbeitung, zur Informationsverarbeitung und -verschaffung, für telekommunikative Anwendungen, Internetdienstleistungen, als Datenbank, für Tabellenkalkulationen sowie zum Programmieren. Typischerweise werden derzeit die in Behörden, Unternehmen, aber auch in Privatwohnungen vorhandenen internetfähigen PCs für die oben aufgeführten Zwecke und gerade nicht für den Rundfunkempfang genutzt (vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 08.09.2009, a.a.O.). Auch über diese genannten Fälle hinaus wird ein internetfähiger PC (noch nicht) regelmäßig, sondern nur ausnahmsweise zum Rundfunkempfang genutzt. Dies belegt nach Auffassung des Gerichts die sogenannte ARD/ZDF-Online-Studie 2007, die seit 1997 jährlich durchgeführt wird. Hiernach „nutzten im Jahr 2007 rund 1,4 Millionen täglich das Netzradio – dies entspräche einem Anteil von 3,4 % an allen „Onlinern“ und 2,1 % bezogen auf die Gesamtbevölkerung ab 14 Jahre; der Anteil der täglichen Live-Radiohörer im Web war im Vergleich zu den 50,2 Millionen Hörern über traditionelle Empfangswege relativ gering“ (vgl. hierzu van Eimeren und Frees, ARD/ZDF-Online-Studie 2007 zitiert in VG Frankfurt, Urteil vom 08.09.2009, a.a.O.).
Aufgrund dessen kann nach Auffassung des Gerichts bei einem neuartigen multifunktionalen Gerät wie einem internetfähigen PC nicht aus dem bloßen Besitz eines internetfähigen PCs automatisch darauf geschlossen werden, dass dieser auch zum Rundfunkempfang im Sinne des § 1 Abs. 2 RGebStV zum Rundfunkempfang bereit gehalten wird. Denn es trifft – wie zuvor dargelegt – die in § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV zugrundeliegende typisierende Annahme, ein vorhandenes Rundfunkempfangsgerät werde auch tatsächlich zum Empfang genutzt, bei diesen Geräten regelmäßig nicht zu. Der von der obergerichtlichen Rechtsprechung (OVG NW, Urteile vom 01.06. und 26.05.2009, a.a.O., Bay. VGH, Urteil vom 19.05.2009, a.a.O. sowie OVG Rh.-Pf., Urteil vom 12.03.2009, a.a.O.) vertretenen Wertung, die Nutzung eines internetfähigen PCs zum Rundfunkempfang sei mittlerweile weder im privaten noch im gewerblichen Bereich atypisch, weshalb die Grundannahme des § 1 Abs. 2 Satz 2 RGebStV, wonach im Besitz eines empfangsbereiten Geräts ein potenzieller Nutzungsvorteil liegt, auch für multifunktionale internetfähige PCs gelten müsse, vermag das Gericht deshalb nicht zu folgen. Nach seiner Einschätzung entspricht es gerade nicht allgemeiner Erfahrung, dass an vielen Arbeitsplätzen in den Pausen oder gar während der Arbeitszeit vorhandene Rechner mit Internetanschluss zum Rundfunkempfang genutzt werden, wenn kein herkömmliches Rundfunkempfangsgerät zur Verfügung steht (so aber ausdrücklich Bay. VGH, Urteil vom 19.05.2009, a.a.O.).
Die Entscheidung kann hier auf den Seiten des Hessenrechts im Volltext eingesehen werden.