Immer wieder werden die Gerichte mit der Frage befasst, ob ein Unfallverursacher bzw. dessen KFZ-Haftpflichtversicherung ein Schmerzensgeld für eine von einem Unfallopfer behauptetes Halswirbelsäulenschleudertrauma zu zahlen haben. …
Mit dieser Frage hatte sich der BGH bereits in seiner Entscheidung vom 28.01.2003 in dem Verfahren VI ZR 139/02 (NJW 2003, 1116-1118; BGHReport 2003, 487-489) befasst und dort in seinem Leitsatz festgestellt, dass
„Allein der Umstand, daß sich ein Unfall mit einer geringen kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung („Harmlosigkeitsgrenze“) ereignet hat, […] die tatrichterliche Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO von seiner Ursächlichkeit für eine HWS-Verletzung nicht“
ausschließe.
Die Entscheidung des BGH kann hier auf den Seiten des Bundesgerichtshofes im Original abgerufen werden.
Unter Bezugnahme auf diese Entscheidung und die seither ergangene Rechtsprechung stellt der 7. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht in seinem Urteil vom 6. Juli 2006 in dem Verfahren 7 U 148/01 (OLGR Schleswig 2006, 821; NJW-RR 2007, 171) folgendes fest:
[…] den Ausführungen des orthopädischen Sachverständigen D liegt die im Gutachten nicht explizit erwähnte Annahme einer sogenannten „Harmlosigkeitsgrenze“ bei einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung (Delta V) von bis zu 10 km/h zugrunde, auf deren Existenz ausdrücklich das angefochtene Urteil beruht; eine derartige Schematisierung ist aber spätestens seit der Entscheidung BGH NJW 2003, S. 1116 ff überholt. Der Bundesgerichtshof hat in jener Entscheidung ausdrücklich ausgeführt , dass gegen die schematische Annahme einer solchen „Harmlosigkeitsgrenze“ (auch) spreche, dass die Beantwortung der Kausalitätsfrage nicht allein von der kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung, sondern dann eben von einer Reihe anderer Faktoren abhänge. Bei der Prüfung, ob ein Unfall eine Halswirbelsäulenverletzung verursacht habe, seien stets die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Daher bedürfe es noch nicht einmal der Einholung eines Gutachtens über die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung, wenn das Gericht in tatrichterlicher Würdigung die Überzeugung davon gewonnen habe, dass durch den Unfall eine Körperverletzung verursacht worden sei.
Diese Ausführungen des Bundesgerichtshofs entsprechen der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Senats, der als Spezialsenat für Verkehrsunfallsachen ständig mit vergleichbaren Sachverhalten befasst ist und dabei – unterstützt von medizinischen Sachverständigen der unterschiedlichsten Fachrichtungen – ebenfalls die Erkenntnis gewonnen hat, dass die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung nur einer von vielen Faktoren zur Beurteilung der Frage, ob ein Unfallbeteiligter bei einer Kollision eine Verletzung im Bereich der Halswirbelsäule erlitten hat, sein kann.
[…]
Da es auch im Rahmen des Strengbeweises gemäß § 286 ZPO , der für den haftungsbegründenden Primärschaden maßgeblich ist, nicht auf eine mathematisch lückenlose Gewissheit, sondern „nur“ auf einen für das praktische Leben brauchbaren Grad an Überzeugung ankommt, der Zweifeln Schweigen gebietet, ist der Senat in diesem Sinne davon überzeugt, dass der Kläger durch den Unfall eine Halswirbelsäulen-Beschleunigungsverletzung erlitten hat.
Steht damit der Haftungsgrund fest, ist für die haftungsausfüllende Kausalität, also die Folgen der Primärverletzung, der weniger strenge Beweismaßstab des § 287 ZPO anzulegen. […]
Man sollte nun meinen, dass diese Rechtsprechung bei den KFZ-Haftpflichtversicherungen angekommen sei.
Dies ist aber wohl nicht bei allen Versicherrern der Fall, so lässt die beklagte Versicherung in einem vor dem Amtsgericht Bad Homburg anhängigen Verfahren (das Aktenzeichen und die Versicherungsgesellschaft können hier frühestens nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens genannt werden) mit Schriftsatz vom 30. März 2007 vortragen:
„[…]
In der Regulierungspraxis hat der Strengbeweis des § 286 ZPO eine große Bedeutung bei medizinisch nicht objektivierbaren Primärverletzungen, wie z.B. einem HWS-Trauma. Diesbezüglich muss der Verletzte den Nachweis führen, dass die durch den Unfall auf die Halswirbelsäule einwirkenden biomechanischen Kräfte und damit die Geschindigkeitsveränderung des Kfz überhaupt geeignet waren, eine Verletzung hervorzurufen.“ […]
Auch physikalische Grundsätze werden ganz neu dargestellt:
„[…]
Der Beschleunigungsimpuls entsteht letztendlich durch den Widerstand, den das angestoßene Fahrzug erzeugt. Hierbei ist auch der Widerstand zu beachten, den das Fahrzeug durch Reibung auf der Straße erzeugt. Ohne einen Widerstand, der von dem Fahrzeug ausgelöst wird, entsteht letztlich keine Differenzgeschwindigkeit. Ein Fahrzeug auf glatter Fahrbahn erzeugt jedoch denklogisch einen wesentlich geringeren Widerstand als ein Fahrzeug auf einer trockenen Fahrbahn. Der hier entstehende Widerstand ist erheblich geringer, als bei einem Fahrzeug auf trockener Fahrbahn.
Die entstehende Kollisionsenergie wird daher viel einfacher abgebaut als bei einem Fahrzeug, welches fest steht, da das klägerische Fahrzeug weggleitet. […]“
Diese Feststellungen stehen für sich!
Einmal abgesehen davon, dass die Aussagen bereits nicht mit den Newtonschen Axiomen und insbesondere nicht mit dem Impulserhaltungssatz in Einklang zu bringen sind, bestätigen sie doch (Wahrscheinlich ungewollt) die Behauptung des Klägers, dass von den (geringen) Verformungen an den Fahrzeugen vorliegend nicht auf die Kräfte zu schließen ist, die auf den Körper des Klägers gewirkt haben…
Es erscheint zumindest zweifelhaft, ob man im vorliegenden Fall noch gespannt sein muss, welche Auffassung das angerufene Gericht zur Haftung der Versicheurng dem Grunde nach für die erlittene bzw. behauptete HWS-Verletzung einnehmen wird. Ich werde zu gegebener Zeit berichten.