In seinem Beschluss vom 19. Oktober 2007 in dem Verfahren 3 StR 378/07 hat sich der Bundesgerichtshof eingehend mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gem. § 66b StGB zulässig ist.
Hierzu hat der BGH unter anderem folgendes ausgeführt:
a) Die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung setzt nach § 66 b Abs. 1 und 2 StGB u. a. voraus, dass nach einer Verurteilung wegen einer bestimmten Anlaßtat und vor dem Ende des Strafvollzugs Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Diese „erkennbar werdenden“ Tatsachen – in Literatur und Rechtsprechung durchweg als „neue“ Tatsachen bezeichnet – sind zwingende gesetzliche Voraussetzung für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 b StGB; in ihnen muss sich auch die hangbedingte Gefährlichkeit des Verurteilten widerspiegeln (vgl. BGHSt 50, 275, 279).
An die Annahme neuer Tatsachen sind, zumal die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung den Bestand eines rechtskräftigen Urteils tangiert und nach dem Willen des Gesetzgebers auf seltene Einzelfälle beschränkt sein soll (BGHSt 50, 275, 278 m. w. N.; BVerfG [Kammer] StV 2006, 574 Rdn. 18), strenge Anforderungen zu stellen. Es kommen nur solche Umstände in Betracht, die entweder erst nach der Anlassverurteilung entstanden sind oder vom Richter des Ausgangsverfahrens nicht erkannt werden konnten. Allein die neue Bewertung bereits zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung bekannter Tatsachen genügt nicht (BGHSt 50, 180, 188; 50, 275, 278; 50, 373, 379; BGH NJW 2006, 3154, 3155). Nur so ist sichergestellt, dass durch die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nicht Versäumnisse der Strafverfolgungsbehörden im Ausgangsverfahren zu Lasten des Verurteilten im Nachhinein korrigiert werden (BGHSt 50, 121, 126; 50, 284, 297; BVerfG aaO Rdn. 20) mit der Folge einer Verletzung des Verbots der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG).
Erkennbar sind Tatsachen, die ein sorgfältiger Tatrichter hätte aufklären müssen, um entscheiden zu können, ob eine Maßregel nach §§ 63, 64, 66, 66 a StGB anzuordnen ist (BGHSt 50, 275), bzw. solche Tatsachen, die der Tatrichter nach dem Maßstab des § 244 Abs. 2 StPO zur Entscheidung über die Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel zu erforschen hatte und bei hinreichender Aufklärung gefunden hätte (BGH NStZ-RR 2006, 172). Mit diesen Wendungen hat – in den Worten des Bundesverfassungsgerichts – die Rechtsprechung den Begriff der neuen Tatsachen „dahin konkretisiert, dass die Tatsachen dem letztinstanzlich zuständigen Gericht im Ausgangsverfahren auch nicht bei pflichtgemäßer Wahrnehmung seiner Aufklärungspflicht hätten bekannt werden können“ (BVerfG aaO Rdn. 20). Als Voraussetzung für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht tauglich sind deshalb Tatsachen, für die es im Ausgangsverfahren Anhaltspunkte gegeben hat, die aber damals vom Gericht unbeachtet geblieben sind.
b) Diese Grundsätze (s. auch BGH NJW 2007, 1148) hat das Landgericht im Ausgangspunkt zwar zugrunde gelegt. Seine erkennbar von dem verständlichen Bemühen, die Allgemeinheit vor einem äußerst gefährlichen Straftäter zu schützen, geleitete Auffassung, es lägen hier neue Tatsachen vor, weitet diese unverzichtbare Voraussetzung für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung indes in einer Weise aus, dass sie die ihr zugewiesene einschränkende Bedeutung vollständig verliert, und hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
aa) Als Tatsachen, die erst nach der Verurteilung im Jahr 1993 und vor Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe erkennbar geworden sind und auf die erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen, hat das Landgericht folgende Umstände gewertet:
Der Verurteilte, der sich 1993 in der Hauptverhandlung nicht eingelassen hatte, habe sich im Verlauf des Strafvollzugs zu seinen Straftaten geäußert. Im Jahr 1997 habe er die Vorwürfe erstmals pauschal eingeräumt. Sieben Jahre später habe er geschildert, dass er die Taten, bei denen er die Opfer beherrschen wollte, sorgfältig geplant habe. Anfang 2006 habe er seine Angaben dahin präzisiert, dass er schon bei der Tatvorbereitung sexuell erregt gewesen sei. Diese Äußerungen des Verurteilten zu seiner Motivation seien entscheidend für die Diagnose der beiden im Verfahren über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gehörten Sachverständigen gewesen, dass beim Verurteilten ein Sadismus mit sexuellen Anteilen bestehe; sie ermöglichten die Abgrenzung zu rein sexueller Motivation des „Täters“ für seine Straftaten. Erst hierdurch habe sich die Möglichkeit ergeben, die im Urteil von 1993 zugrunde gelegte Annahme zu widerlegen, es habe sich bei den Anlasstaten des Verurteilten um Spontan- bzw. Augenblickstaten gehandelt (UA S. 21 f.); das hohe Maß an Planung und Vorbereitung der Taten sei erst jetzt zutage getreten (UA S. 24).
bb) Damit hat das Landgericht keine neuen Tatsachen im Sinne des § 66 b Abs. 1 und 2 StGB belegt. Vielmehr waren alle maßgeblichen Umstände,auf die es nunmehr seine Überzeugung vom Hang des Verurteilten zur Begehung schwerer Straftaten und dessen Gefährlichkeit stützt, bereits im Ausgangsverfahren bekannt oder zumindest erkennbar.
Schon nach den Feststellungen des Anlassurteils zu den dort geahndeten Delikten konnte keinem Zweifel unterliegen, dass der Verurteilte planvoll und zielgerichtet gehandelt hatte.
Er hatte zunächst ein Adressbuch der evangelisch-lutherischen Landeskirche entwendet, um herauszufinden, welche Pfarrhäuser von Pastorinnen bewohnt wurden, und auf diese Weise seine potentiellen Opfer ermittelt. Auch sein weiteres Vorgehen bei den Taten war stets vorbereitet; denn er hatte sich jeweils ausgerüstet mit einer Maske sowie bewaffnet mit einem Eisenstab auf den Weg zum Tatort gemacht. Die Auffassung des damals gehörten Sachverständigen und ihm folgend des Landgerichts, es habe sich aus psychiatrischer Sicht um Gelegenheits- oder Augenblickstaten des Verurteilten gehandelt, steht daher in einem unauflöslichen Widerspruch zum Tatbild der abgeurteilten Straftaten. Darüber hinaus konnte das Landgericht durch Verwertung der Gründe der früher gegen den Verurteilten ergangenen Entscheidungen ohne weiteres erkennen, dass dessen neue Taten in wesentlichen Punkten genau dem Tatbild der vollendeten und versuchten Vergewaltigungen entsprachen, die der Verurteilte schon seit jungen Jahren immer wieder begangen hatte und die sich in ihrer Begehungsweise immer mehr den Modalitäten der Sexualdelikte annäherten, die nunmehr zur Aburteilung anstanden. Es musste sich ihm daher die Folgerung aufdrängen, dass sich dieses Vorleben des Verurteilten nicht mit der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen in Einklang bringen ließ, die Taten wurzelten nicht in einem „durch Anlage oder Übung erworbenen Hang des Angeklagten zu immer neuen Taten im Sinne eines eingeschliffenen Verhaltensmusters“. Aufgrund seiner Aufklärungspflicht hätte es ihm daher oblegen, die Bewertungen des Sachverständigen kritisch zu hinterfragen und diesem die entgegenstehenden Anknüpfungstatsachen vorzuhalten sowie gegebenenfalls – etwa durch Zuziehung eines weiteren Sachverständigen – zu den Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung zusätzlichen Beweis zu erheben. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil gegen den Verurteilten wegen ähnlicher Taten bereits im Jahr 1981 Sicherungsverwahrung angeordnet, mithin sein Hang zu erheblichen Delikten und seine Gefährlichkeit auf nahezu identischer Sachverhaltsgrundlage festgestellt worden war.
Hinzu kommt, dass das Landgericht selbst auf der Grundlage seiner Bewertung der Taten die Sicherungsverwahrung im Ausgangsverfahren vorschnell ablehnte; denn unter bestimmten weiteren Umständen kommt die Annahme eines Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB auch dann in Betracht, wenn ein Täter immer wieder Augenblicks- oder Gelegenheitstaten begeht (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 105 m. w. N.).
Soweit das Landgericht im angefochtenen Urteil seine abweichende Auffassung demgegenüber maßgeblich darauf stützt, dass erst durch die Äußerungen des Verurteilten im Verlauf des Strafvollzugs dessen „Sadismus mit sexuellen Anteilen“ habe diagnostiziert werden können und damit die Tatmotivation erkennbar geworden sei, hat sie zweierlei nicht bedacht: Zum einen ist es für die Anordnung der Sicherungsverwahrung grundsätzlich unerheblich, worauf der verbrecherische Hang des Täters beruht (BGH NJW 1980, 1055; NStZ 2005, 265; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1; BGH, Urt. vom 25. Juli 2007 – 2 StR 209/07); liegt seine fest eingewurzelte Neigung zur Begehung von Straftaten schon nach seiner bisherigen Lebensführung objektiv auf der Hand, so kommt es daher nicht darauf an, welcher psychologische oder psychiatrische Befund diesem Persönlichkeitsbild entspricht. Zum anderen hatte der im Verfahren vor dem Landgericht Hildesheim gehörte Sachverständige Prof. Dr. K. , nachdem der Verurteilte die dort abgeurteilten Taten gestanden und sich von einem anderen Sachverständigen hatte explorieren lassen, bereits im Jahr 1981 genau dieselbe psychiatrische Diagnose gestellt („sexuell-sadistisch motiviert“; s. UA S. 9 f.), zu der auch die in vorliegendem Verfahren gehörten Gutachter gelangt sind.
Diese haben selbst darauf hingewiesen, dass aus der Vorgeschichte, den Ergebnissen früherer Begutachtungen und dem äußeren Tatbild bereits 1993 genügende Anhaltspunkte dafür vorgelegen haben, den Verurteilten aufgrund einer sexuellen Devianz als gefährlichen Hangtäter einzustufen (UA S. 23). Es trifft daher nicht zu, dass erst durch die Äußerungen des Angeklagten während der zuletzt gegen ihn vollzogenen Strafhaft seine Tatantriebe hätten aufgedeckt werden können.
Nach alledem beruht die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung hier allein auf der Neubewertung von Tatsachen, die bereits zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung bekannt waren, der Heranziehung tatsächlicher Umstände, die dem damaligen Tatrichter zumindest hätten bekannt sein können und müssen, und dem Rückgriff auf sachverständige Einschätzungen, auf die es bei der gegebenen Sachlage ohnehin nicht ankam; die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Der Senat schließt angesichts der sorgfältigen Darlegungen im angefochtenen Urteil aus, dass sich in einem weiteren Verfahren noch Umstände ergeben könnten, die als neue Tatsachen die Verhängung der Maßregel rechtfertigen könnten. Er entscheidet daher selbst, dass die Maßregelanordnung entfällt, und hebt gleichzeitig den Unterbringungsbefehl auf (§ 275 a Abs. 5, § 126 a Abs. 3, § 126 Abs. 3 StPO).
Die Entscheidung kann im Volltext hier auf den Seiten des BGH abgerufen werden.