Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23. Mai 2006 in dem Verfahren VI ZR 192/05 kann der Geschädigte zum Ausgleich des durch einen Unfall verursachten Fahrzeugschadens, der den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigt, die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts ohne Abzug des Restwerts verlangen, wenn er das Fahrzeug – gegebenenfalls unrepariert – mindestens sechs Monate nach dem Unfall weiter nutzt. Damit führt der BGH seine Rechtsprechung aus BGHZ 154, 395 ff. fort.
Die Entscheidung wird wie folgt begründet:
Das Berufungsgericht folgt der Auffassung des Amtsgerichts, dass der Geschädigte nicht Ersatz der den Wiederbeschaffungsaufwand (= Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) übersteigenden Reparaturkos-ten verlangen könne, wenn er den Schaden tatsächlich nicht repariere. Zwar sei es allein seine Angelegenheit, ob und auf welche Weise er sein Fahrzeug wie-der instand setze. Aber auch wenn es den Schädiger grundsätzlich nichts an-gehe, wie der Geschädigte mit dem unfallbeschädigten Fahrzeug verfahre, än-dere sich nichts daran, dass zunächst nach sachgerechten Kriterien festzustel-len sei, in welcher Höhe dem Geschädigten angesichts des ihm verbliebenen Restwerts seines Fahrzeugs durch den Unfall überhaupt ein Vermögensnachteil erwachsen sei. Im vorliegenden Fall sei dem Kläger nur der Wiederbeschaf-fungsaufwand zu ersetzen, da er sein Fahrzeug nicht habe reparieren lassen. Darauf, dass dieses fahrbereit und deshalb eine Reparatur zur weiteren Nut-zung nicht zwingend erforderlich gewesen sei, komme es nicht an. Deshalb könne dahinstehen, dass der Kläger den Restwert realisiert habe, indem er sein Fahrzeug unstreitig gut vier Monate nach dem Unfallereignis veräußert habe, auch wenn dies – wie er behauptet – wegen eines weiteren, unfallunabhängigen
Schadens geschehen und zunächst eine Veräußerung des Fahrzeugs nicht beabsichtigt gewesen sei. Voraussetzung für den Ersatz fiktiver Kosten sei, auch wenn diese unterhalb des Wiederbeschaffungswerts lägen und unabhän-gig von der Qualität der Reparatur verlangt werden könnten, dass zumindest eine Reparatur vorgenommen werde. Die bloße Weiternutzung des Fahrzeugs genüge dafür nicht. Der Kläger könne auch nicht deshalb Schadensersatz in Höhe der fiktiven Reparaturkosten verlangen, weil diese die „70%-Grenze“ des Wiederbeschaffungswerts nicht überschreiten. Dadurch sollte dem Geschädig-ten die Durchführung der Reparatur eines mittleren Schadens an einem ver-gleichsweise neuen hochwertigen Kraftfahrzeug ermöglicht werden. Darauf komme es vorliegend nicht an, da der Kläger die Reparatur unstreitig nicht durchgeführt habe.
II.
Das Berufungsurteil hält im Ergebnis revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
1. Das Berufungsgericht geht im Ansatz zutreffend davon aus, dass dem Geschädigten für die Berechnung von Kraftfahrzeugschäden im Allgemeinen zwei Wege der Naturalrestitution zur Verfügung stehen: Die Reparatur des Un-fallfahrzeugs oder die Anschaffung eines (gleichwertigen) Ersatzfahrzeugs. Un-ter den zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten der Naturalrestitution hat der Geschädigte grundsätzlich diejenige zu wählen, die den geringsten Aufwand erfordert. Dieses sogenannte Wirtschaftlichkeitspostulat findet gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB seinen gesetzlichen Niederschlag in dem Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit, ergibt sich aber letztlich schon aus dem Begriff des Schadens selbst. Darüber hinaus findet das Wahlrecht des Geschä-digten seine Schranke an dem Verbot, sich durch Schadensersatz zu berei-chern. Denn auch wenn er vollen Ersatz verlangen kann, soll der Geschädigte an dem Schadensfall nicht „verdienen“.
2. Doch lässt das Berufungsgericht außer Betracht, dass das Integritäts-interesse des Geschädigten aufgrund der gesetzlich gebotenen Naturalrestituti-on grundsätzlichen Vorrang genießt und durch das Wirtschaftlichkeitsgebot und das Bereicherungsverbot nicht verkürzt werden darf. Auch greift es mit seiner Auffassung in die Ersetzungsbefugnis und Dispositionsfreiheit des Geschädigten ein.
a) Der erkennende Senat hat im Urteil vom 29. April 2003 – VI ZR 393/02 – BGHZ 154, 395 ff. entschieden, dass der Geschädigte zum Ausgleich des durch einen Unfall verursachten Fahrzeugschadens, der den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigt, die vom Sachverständigen geschätz-ten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts ohne Abzug des Restwerts verlangen kann, wenn er das Fahrzeug tatsächlich reparieren lässt und weiter benutzt, ohne dass es auf Qualität und Umfang der Reparatur ankommt. Im damaligen Fall hatte der Geschädigte seinen PKW repariert, um ihn weiter zu nutzen. Die Frage, ob in jedem Fall repariert werden muss, stellte sich deshalb nicht. Daraus kann aber nicht entnommen werden, dass der Ge-schädigte generell zur Reparatur verpflichtet sei, wenn er den erforderlichen Reparaturaufwand verlangt. Es ist nunmehr klarzustellen, dass für den Anspruch auf die fiktiven Reparaturkosten ohne Berücksichtigung des Restwerts entscheidend ist, dass der Geschädigte das Fahrzeug weiter nutzt, sei es auch in beschädigtem, aber noch verkehrstauglichem Zustand. Er kann es nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen unrepariert weiternutzen und den zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag anderweitig verwenden. Im Fall der Weiternutzung stellt der Restwert, wenn und solange der Geschädigte ihn nicht realisiert, lediglich einen hypothetischen Rechnungsposten dar, der sich in der Schadensbilanz nicht niederschlagen darf (vgl. Senatsurteil BGHZ 154, 395, 397 f. m.w.N.).
b) Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass der Geschädigte durch die bloße Weiternutzung des Fahrzeugs nur sein Interesse an der Mobilität zum Ausdruck bringe und dieses Interesse in vergleichbarer Weise auch durch eine Ersatzbeschaffung befriedigt werden könne. Dabei bliebe die Erset-zungsbefugnis des Geschädigten nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB außer Be-tracht, nach der er zwischen den beiden Möglichkeiten der Naturalrestitution (Reparaturkostenersatz oder Kosten für ein gleichwertiges Ersatzfahrzeug) grundsätzlich frei wählen kann. Auch steht es dem Geschädigten aufgrund sei-ner Dispositionsfreiheit grundsätzlich frei, ob er den zur Wiederherstellung er-forderlichen Betrag nach dessen Zahlung wirklich diesem Zweck zuführen oder anderweitig verwenden will. Selbst wenn er von vornherein nicht die Absicht hat, die der Berechnung seines Anspruchs zugrunde gelegte Wiederherstellung zu veranlassen, sondern sich anderweit behelfen oder die Entschädigungszah-lung überhaupt einem sachfremden Zweck zuführen will, kann der Geschädigte Ersatz der zur Behebung des Schadens erforderlichen Reparaturkosten verlan-gen. Der Wille des Geschädigten zur Reparatur kann nicht zur Voraussetzung für den Anspruch auf Zahlung des zur Instandsetzung erforderlichen Geldbetrags erhoben werden (vgl. Senatsurteil BGHZ 66, 239, 241). Der in der Repa-raturbedürftigkeit zum Ausdruck gekommenen Einbuße, die sich im Vermögen des Geschädigten niedergeschlagen hat, steht die Zahlung der für die Repara-tur erforderlichen Geldmittel gegenüber. Ob diese tatsächlich für eine Instand-setzung eingesetzt werden, liegt in der Disposition des Geschädigten (vgl. Se-natsurteil BGHZ 66, 239, 244 f.).
3. Von einer Weiternutzung des Fahrzeugs im Sinn der oben zu 2. a) dargelegten Rechtsprechung des Senats kann allerdings dann nicht die Rede sein, wenn der Geschädigte das Fahrzeug nach dem Unfall alsbald veräußert. Dann nämlich gibt er sein Integritätsinteresse auf und realisiert durch den Ver-kauf den Restwert seines Fahrzeugs mit der Folge, dass er sich diesen grund-sätzlich anrechnen lassen muss (vgl. Senatsurteil vom 7. Juni 2005 – VI ZR 192/04 – VersR 1257, 1258 f.). Da er am Schadensfall nicht verdienen darf, ist in einem solchen Fall sein Anspruch der Höhe nach durch die Kosten der Ersatzbeschaffung begrenzt (vgl. Senatsurteile BGHZ 66, 239, 247; vom 5. März 1985 – VI ZR 204/83 – VersR 1985, 593 und vom 7. Juni 2005 – VI ZR 192/04 – aaO).
Deshalb stellt sich die Frage, wie lange der Geschädigte das Fahrzeug nach dem Unfall nutzen muss, um ein nachhaltiges Interesse an dessen Wei-ternutzung zum Ausdruck zu bringen. Diese Frage wird vom erkennenden Se-nat nach Abwägung der beiderseitigen Interessen zur Erleichterung einer prak-tikablen Schadensabwicklung dahin beantwortet, dass im Regelfall ein Zeitraum von sechs Monaten erforderlich, aber auch ausreichend ist. Bei einer so langen Weiternutzung wird nämlich im allgemeinen ein ernsthaftes Interesse des Ge-schädigten an der Weiternutzung, das einem Abzug des Restwerts nach den oben dargelegten Grundsätzen entgegensteht, nicht verneint werden können. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass eine längere Frist für die Möglichkeit einer Abrechnung mit Abzug des Restwerts den Schädiger und seinen Versi-cherer begünstigen bzw. zur Verzögerung der Abrechnung veranlassen könnte und von daher dem Geschädigten nicht zumutbar wäre. Deshalb erscheint in der Regel ein Zeitraum von sechs Monaten als angemessen, wenn nicht be-sondere Umstände ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen.
4. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Geschädigte im Streitfall das Fahrzeug zwar zunächst weiter genutzt, jedoch nach ca. vier Monaten unrepariert veräußert. Unter diesen Umständen kann der Restwert bei der Schadensabrechnung nicht unberücksichtigt bleiben. Zwar ist – wie oben unter 2. a) ausgeführt – der Anspruch auf die geschätzten Repara-turkosten ohne Berücksichtigung des Restwerts entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht schon deshalb zu verneinen, weil der Kläger das Fahr-zeug nicht repariert hat, doch ist der von den Parteien der Höhe nach nicht be-anstandete Restwert in Abzug zu bringen, weil der Geschädigte das Fahrzeug in zu engem zeitlichem Abstand zum Unfall verkauft hat. Insoweit erweist sich das Berufungsurteil im Ergebnis als zutreffend.
Die Entscheidung kann im Volltext hier abgerufen werden.