Liegt eine sachlich nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung vor, entfällt die haftungsbegründende Rechtsgutsverletzung – die unangemessene Verfahrensdauer – selbst dann nicht, wenn die Klage oder der Rechtsbehelf im Ausgangsverfahren von vornherein erkennbar aussichtlos waren.
Dies hat der BGH in seinem Urteil vom 13.04.2017 (III ZR 277/16) festgestellt und die u.a. wir folgt begründet:
[…] a) § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG begründet einen Entschädigungsanspruch gegen den Staat wegen überlanger Dauer eines gerichtlichen Verfahrens. Der hierfür maßgebliche Tatbestand ist die Verletzung des Anspruchs eines Verfahrensbeteiligten aus Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 20 Abs. 3 GG (i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) und aus Art. 6 Abs. 1 EMRK auf Entscheidung seines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, BT-Drucks. 17/3802 S. 1, 18). Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG kommt es für die Frage der Angemessenheit der Verfahrensdauer auf die Umstände des Einzelfalls an, wobei das Gesetz beispielhaft und ohne abschließenden Charakter („insbesondere“) die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter benennt.
b) Ein weiteres wichtiges Kriterium zur Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist die Verfahrensführung durch das Gericht. Dabei ist dem Gericht zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse – auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit – ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen, der lediglich einer Vertretbarkeitskontrolle unterliegt. Laufzeiten, die durch die Prozessleitung des Gerichts bedingt sind, haben nur dann eine unangemessene Verfahrensdauer zur Folge, wenn sich die verfahrensleitende Entscheidung – auch bei Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege – nicht auf verfahrensökonomische Sachgründe stützen lässt, sondern von sachfremden und zweckwidrigen Erwägungen getragen und somit nicht mehr verständlich ist (st. Rspr; vgl. nur Senatsurteile vom 14. November 2013 – III ZR 376/12, BGHZ 199, 87 Rn. 28, 32 ff; vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13, BGH 199, 190 Rn. 40, 42 ff; vom 23. Januar 2014 – III ZR 37/13, BGHZ 200, 20 Rn. 36, 38 ff; vom 13. März 2014 – III ZR 91/13, NJW 2014, 1816 Rn. 27, 31 f, 34 f und vom 12. Februar 2015 – III ZR 141/14, BGHZ 204, 184 Rn. 24 ff; siehe auch BeckOGK/Dörr, BGB, § 839 Rn. 1255 [Stand: 1. Dezember 2016]). Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein entscheidungsreifes Verfahren nicht mehr gefördert wird und sich die „Tätigkeit“ des Gerichts auf ein Liegenlassen der Akten beschränkt (vgl. BVerwG, NJW 2014, 96 Rn. 52; BeckOGK/Dörr aaO). Der Anspruch des Betroffenen auf Rechtsschutz in angemessener Zeit darf auch nicht mit der Erwägung relativiert werden, seinem Rechtsschutzbegehren fehle die Erfolgsaussicht. Auf das Ergebnis des Verfahrens (Erfolg/Misserfolg) kommt es nicht an (Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 63). Dementsprechend findet im Entschädigungsprozess auch keine Überprüfung der der Entscheidungsfindung zugrunde liegenden rechtlichen Überlegungen statt (Senatsurteil vom 13. März 2014 aaO Rn. 34). Liegt eine sachlich nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung vor, entfällt die haftungsbegründende Rechtsgutsverletzung – die unangemessene Verfahrensdauer – selbst dann nicht, wenn die Klage oder der Rechtsbehelf im Ausgangsverfahren von vornherein erkennbar aussichtlos waren. Dem Umstand, dass das Rechtsschutzbegehren des Betroffenen von Anfang an unbegründet war, kann, soweit – wie im vorliegenden Fall – eine Entschädigung für immaterielle Nachteile geltend gemacht wird, dadurch Rechnung getragen werden, dass eine Geldentschädigung versagt und gegebenenfalls gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 GVG lediglich die Unangemessenheit der Verfahrensdauer festgestellt wird (vgl. BFHE 240, 516 Rn. 62).
Nach alledem durfte der Umstand, dass über die Anhörungsrüge/Gegenvorstellung vom 9. Juli 2013 erst nach Ablauf von 21 Monaten entschieden wurde, nicht deshalb als von vornherein entschädigungsrechtlich irrelevant angesehen werden, weil den vorgebrachten Gesichtspunkten die Entscheidungserheblichkeit im Sinne des § 44 Abs. 1 Nr. 2 FamFG fehlte.
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